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Was im IT-Recruiting wirklich zählt: Projekte, Persönlichkeit und Transparenz – Insights von Vanessa Aicher von Adnovum

Olivier Dolder & Greg Tomasik

10.12.2025, 13:25
mit Vanessa Aicher & Greg Tomasik

 

Frau Aicher, Sie haben einen Hintergrund in Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie. Wie prägt dieser Weg Ihren Blick im Recruiting, etwa wenn Sie entscheiden, wer als Requirements Engineer, Security Engineer oder AI Consultant wirklich ins Team passt?

Mein psychologischer Hintergrund leitet mein Handeln in vielerlei Hinsicht - sei es bei der Entwicklung von Rekrutierungsprozessen und Rekrutierungsinstrumenten, bei der Schulung von Mitarbeitenden oder beim Führen von Interviews.

Entwickle und definiere ich einen Rekrutierungsprozess oder Rekrutierungsinstrumente, berücksichtige ich Forschungsergebnisse aus psychologischen Studien. Schule ich Mitarbeitende in puncto Interviewführung, kläre ich sie hinsichtlich der gängigsten Assessment Biases auf. Führe ich ein Interview, überlege ich mir im vornherein, wie ich den*die Bewerbende*n dazu bringe, authentisch zu sein und sich zu öffnen. Was sind geeignete Fragetechniken? Wie wird eine Frage am besten formuliert? Welche Fragen sind zielbringend und schaffen einen echten Mehrwert? Ein Rekrutierungsprozess wird nie komplett objektiv sein. Solange Menschen beteiligt sind, fliesst immer der subjektive Eindruck in die Beurteilung mit ein. Und das ist auch gut so.

 

Welche Rolle spielen klassische Bewerbungsunterlagen (CV, Motivationsschreiben) noch, und wo zählen inzwischen Portfolio, GitHub, Open-Source-Beiträge oder Projektbeispiele mehr?

Während der klassische CV nach wie vor massgebend für die Erstbeurteilung einer Passung ist, haben das Motivationsschreiben und auch Arbeitszeugnisse in den letzten Jahren immer mehr an Wichtigkeit und Bedeutsamkeit verloren. Ein Portfolio, GitHub, Open-Source-Beiträge oder Projektbeispiele verraten viel mehr über die Interessen, Leidenschaften und Fähigkeiten einer Person. Oftmals lässt sich anhand der aufbereiteten und zur Verfügung gestellten Informationen und Unterlagen auch schon ein erster Rückschluss ziehen, wer am Unternehmen und der Stelle besonders interessiert ist. Was schlussendlich aber am meisten zählt, ist der Eindruck, der sich aus den Gesprächen während des gesamten Rekrutierungsprozesses ergibt.

 

Wie sieht ein idealer Bewerbungsprozess aus, vom ersten Kontakt bis zum Contract, gerade in einem engen Markt wie für Software Architects oder Security Engineers?

Schnelligkeit, Flexibilität, Transparenz und Wertschätzung sind ein absolutes Muss. Der Rekrutierungsprozess muss von Anfang an klar definiert sein, um die Bewerbungsprozesse effizient abwickeln zu können. 

Müssen während des Prozesses hier und da noch Abklärungen getroffen werden, geht wertvolle Zeit verloren. Bevor eine Stelle ausgeschrieben wird, müssen mit dem Hiring Manager die Anforderungen geklärt und der Rekrutierungsprozess und die Verantwortlichkeiten klar definiert und festgelegt werden. Sobald eine Stelle ausgeschrieben ist, können Bewerbungen dann effizient prozessiert werden. 

Bei Adnovum arbeiten wir mit einem modularen Standardprozess. Die Module können je nach Gegebenheiten und Bedürfnissen flexibel zusammengesetzt werden. Ungeachtet der Abfolge der Module kommt es in einem ersten Schritt zu einem telefonischen Austausch. Darin werden wichtige Eckdaten wie Erwartungen, Verfügbarkeit oder Gehalt, die für beide Seiten von elementarer Wichtigkeit sind, vorab geklärt. Danach folgen die Module, die darauf abzielen, zu ermitteln, ob die Bewerbenden zum Unternehmen und zur Rolle passen, ob wir den Bewerbenden bieten können, was sie suchen, und ob die erforderlichen Soft- und Hard Skills vorhanden sind. 

Ein Bewerbungsprozess ist dann ideal, wenn er schnell und effizient über die Bühne geht und wenn die Kommunikation regelmässig und transparent erfolgt. Wertschätzung ist dabei das A&O.

Vanessa Aicher

 

Über welche Kanäle finden Sie heute die meisten passenden Kandidat*innen und welche performen im Schweizer Markt nachhaltig gut?

In den letzten Jahren hat sich vor allem LinkedIn bewährt. Einerseits schalten wir dort klassisch Stelleninserate, andererseits suchen wir aktiv nach geeigneten Profilen für unsere Vakanzen. Gleichzeitig nutzen wir das Medium als Employer-Branding-Kanal. Wir publizieren auf unserer Unternehmensseite Content, welcher auch von unseren Mitarbeitenden häufig geteilt, geliked oder kommentiert und dadurch in deren Netzwerke getragen wird. Dies wiederum verschafft uns mehr Sichtbarkeit bei der relevanten Zielgruppe. 

Weiterhin setzen wir auf unser internes Empfehlungsprogramm. Für Junior-Positionen und Praktika haben sich Rekrutierungsevents und Sponsorings an Hochschulen als zielführend erwiesen. Punktuell sind wir auch auf anderen Plattformen aktiv. Diese nutzen wir hauptsächlich für Employer Branding-Zwecke und um präsent zu sein.

 

Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Bewerbungsprozess in den letzten Jahren verändert, was war vor einigen Jahren wichtig und was ist heute anders, um als Kandidat*in hervorzustechen?

In den letzten Jahren hat sich der Bewerbungsprozess deutlich verändert. Früher wurde Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber mehr geschätzt und man galt schnell als Jobhopper. Heute wird berufliche Mobilität wesentlich differenzierter betrachtet und als eine Form der Erfahrung eingestuft und geschätzt. Während früher ausserdem grosser Wert auf die Vollständigkeit der Bewerbungsunterlagen (Motivationsschreiben, CV, Arbeitszeugnisse, Diplome und Zertifikate) gelegt wurde, spielt dies heute eine deutlich geringere Rolle. Wichtig ist, die Person hinter den Bewerbungsunterlagen kennenzulernen und ihre Beweggründe und Motive zu verstehen.

Bei Adnovum rekrutieren wir in der Schweiz zunehmend speziellere Rollen, die meisten davon mit Kundenkontakt. Entsprechend sind unsere Rekrutierungsprozesse weniger generisch geworden; sie passen sich stärker den Anforderungen der jeweiligen Rolle an und sind insgesamt flexibler. 

Heute sticht man als Bewerber*in vor allem hervor, wenn bereits aus den Unterlagen klar und deutlich hervorgeht, welche Erfahrungen und Fähigkeiten man mitbringt, die für die entsprechende Stelle nützlich sind. Ein Motivationsschreiben kann dabei durchaus ein «Zückerli» sein und einen zusätzlichen Akzent setzen – allerdings nur dann, wenn es personalisiert ist und durch zusätzliche Informationen einen Mehrwert liefert, statt generische Standardfloskeln zu wiederholen. Besonders in kundenzentrierten Rollen ist es ausserdem entscheidend, dass Kandidat*innen durch ein überzeugendes Auftreten, Kommunikationsgeschick und Professionalität hervorstechen.

Gleichzeitig hat sich auch die Rolle des Recruiters verändert: Wir sind heute viel stärker Business Partner und Advisor – für Hiring Manager ebenso wie für Kandidat*innen.

 

Wie vermitteln Sie Kandidat*innen, worin sich Security-Jobs bei Adnovum von klassischen „Cyber Security“-Stellen bei Banken, Beratungen oder Behörden unterscheiden?

Um die richtige Person für eine Vakanz finden zu können, ist es für mich essenziell, das Business in seiner Tiefe zu verstehen. Dazu gehört nicht nur das Verstehen unseres Dienstleistungsangebots, sondern auch das Verstehen der Historie des Unternehmens sowie der Organisationsstruktur. Weiterhin muss ich das Projekt- und Teamgefüge sowie den Aufgaben- und Verantwortungsbereich der zu rekrutierenden Rolle verstehen. Nur dann kann ich Bewerbenden klar vermitteln, was sie erwartet und was nicht. Dieses Verständnis ist aus meiner Sicht von fundamentaler Bedeutung, um Missverständnisse zu vermeiden und Fehlbesetzungen vorzubeugen.

Bereits während des ersten telefonischen Austauschs gebe ich meinen Kandidat*innen mehr Kontext zur Rolle, z.B. Verortung innerhalb des Unternehmens, Strategie, Projektsituation, Teamgefüge, aktuelle Herausforderungen, etc. Im ersten Interview werden die komplexen Zusammenhänge der Organisationsstruktur und Rolle vereinfacht bildlich präsentiert.

Vanessa Aicher

 

Remote, Hybrid, On-site: Wie hat sich die Erwartungshaltung von Unternehmen entwickelt, und wie können Bewerbende ihre eigenen Bedürfnisse in diesem Spannungsfeld gut kommunizieren? 

Vor COVID war On-Site die Norm. Remote-Work war vereinzelt möglich, aber spielte noch lange nicht die Rolle, die es heute spielt. Mit COVID wurde Remote-Work zum neuen Standard, und viele Firmen öffneten sich für flexible Arbeitsformen, wodurch sich hybrides Arbeiten etablierte. Aktuell kann jedoch beobachtet werden, dass immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeitenden wieder verstärkt ins Büro zurückholen. Das ist einerseits nachvollziehbar, weil Unternehmenskultur, Austausch und Zugehörigkeit vor Ort leichter spürbar werden – und Kultur will schliesslich auch gelebt werden. Andererseits ist dieser Schritt für viele Arbeitnehmende ein erheblicher Einschnitt und birgt das Risiko, Talente zu verlieren oder neue schwieriger zu gewinnen. 

Bei Adnovum bieten wir unseren Mitarbeitenden das volle Spektrum an Flexibilität. Neben frei einteilbarer Jahresarbeitszeit können unsere Mitarbeitenden selbst entscheiden, wann sie wo arbeiten möchten. Zudem sind bis zu 4 Wochen Workation pro Jahr möglich. Selbstverständlich immer unter Berücksichtigung der Projektsituation und der Bedürfnisse unserer Kunden und des Projektteams. Diese Flexibilität ist eines unserer Alleinstellungsmerkmale und ermöglicht unseren Mitarbeitenden, ihre Work-Life-Balance so zu gestalten, wie es für sie passt. 

Für Bewerbende gilt daher: Eigene Bedürfnisse dürfen – und sollten – von Anfang an klar kommuniziert werden. Um langfristige Zufriedenheit auf beiden Seiten sicherzustellen, müssen Erwartungen rund um Remote, Hybrid oder On-site offen und transparent im Bewerbungsprozess besprochen werden.

 

In der Schweiz wird intensiv über Lohntransparenz diskutiert, von Gehaltsbändern in Stellenanzeigen bis zu internen Pay-Ranges. Wie geht Adnovum mit diesem Thema um: Was kommunizieren Sie bereits offen gegenüber Bewerbenden, wo setzen Sie Grenzen, und wie reagieren Kandidat*innen darauf

Bevor wir in die klassische Interviewführung starten, sprechen wir in einem telefonischen Austausch das Thema Gehalt an. Dabei fragen wir einerseits nach den Gehaltsvorstellungen und geben andererseits eine erste Einschätzung ab, ob wir diese erfüllen können. Wir erklären, wie die Lohnbänder aufgebaut sind, wie die Gehaltseinstufung funktioniert und welche Benefits erwartet werden dürfen. Das effektive Gehalt wird nach den Interviews festgelegt und dann zusammen mit den restlichen Angaben kommuniziert. Intern haben unsere Mitarbeitende Einsicht in unsere Lohnbänder. 

 

Wenn Sie nach vorne schauen: Wie wird sich IT-Recruiting in den nächsten Jahren verändern? Und welchen Tipp geben Sie Software Engineers, Security-Talenten, Business Analysts oder Studierenden, die sich auf diese Zukunft vorbereiten wollen

Eine Veränderung im IT-Recruiting ist bereits heute deutlich spürbar. Insbesondere Berufseinsteiger*innen haben es im Vergleich zu den vergangenen Jahren merklich schwerer, eine Einstiegsposition zu finden. Aber auch erfahrene Fachkräfte spüren, dass sich der Markt wieder stärker in Richtung eines arbeitgebergetriebenen Umfelds entwickelt. Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, hängt massgeblich von den weiteren wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen ab.

Mein wichtigster Rat ist: Vermeide generische Bewerbungen. Entscheidend ist, klar herauszustreichen, warum genau du zur jeweiligen Rolle und zum Unternehmen passt. Wenn ein bestimmter Skill noch nicht vorhanden ist, lohnt es sich, zu zeigen, durch welche Fähigkeiten und Erfahrungen diese kompensiert werden können. 

Ebenso wesentlich ist es, sich im Vorfeld mit den eigenen Erwartungen auseinanderzusetzen: Was ist dir wichtig? Welches Umfeld treibt dich an? Was brauchst du, um dich weiterentwickeln zu können? Was sind allfällige No-Gos? Wer sich über seine Bedürfnisse im Klaren ist und diese kommuniziert, wirkt authentisch und selbstsicher. 

Und schliesslich: Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeiten oder die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen, gewinnen weiter an Bedeutung. Sie sind das, was keine künstliche Intelligenz ersetzen kann – menschlicher Verstand, Empathie und ein Lächeln bleiben zentrale Erfolgsfaktoren.

 


 

Olivier Dolder

Vanessa Aicher ist Senior Talent Acquisition Managerin bei Adnovum. Mit ihrem psychologischen Hintergrund betrachtet sie Recruiting als achtsame, menschlich geführte Entscheidungskunst. Für sie steht im Mittelpunkt, Menschen in ihrer Authentizität zu erkennen und Prozesse so zu gestalten, dass Potenziale sichtbar werden. Ihre Arbeit versteht sie als partnerschaftliche Begleitung, mit Klarheit, Empathie und dem Anspruch, für Kandidat*innen wie Teams die ideale Passung zu finden. Neben ihrer Tätigkeit im Recruiting begeistert sie sich für Employer Branding, moderne HR-Trends und alles, was hilft, Arbeit menschlicher und wirksamer zu gestalten.

 

Greg Tomasik

Greg Tomasik, Co-Founder & CTO bei SwissDevJobs.ch, GermanTechJobs.de & DevITjobs.uk. Ein Software Engineer mit über 8 Jahren Erfahrung in internationalen Unternehmen. Seit 2018 in der Recruiting-Branche tätig, mit dem Fokus auf den Aufbau transparenter Jobplattformen für Tech-Talente.

 


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