Einblicke ins Produktmanagement: Interview mit Tanja Lau

02.01.2025, 12:12
with Tanja Lau & Greg Tomasik

 

Guten Tag Frau Lau, Sie haben die Product Academy gegründet, um Organisationen und ProduktmanagerInnen zu unterstützen. Könnten Sie uns bitte Ihren beruflichen Werdegang und die Entstehungsgeschichte der Product Academy genauer schildern?

Studiert habe ich ursprünglich Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft – und bin damit in der Produktwelt sicher eher die Ausnahme. Rückblickend hatten schon meine ersten Jobs Produktmanagement-Bezug: Ich war für Buchreihen und Veranstaltungen im Verlagsbereich und bei einem Karrierenetzwerk zuständig. Spätestens durch mein Aufbaustudium im Bereich Business Administration an der UC Berkeley sowie durch meine ersten Gründungen hat sich der Fokus sehr bewusst in Richtung Produktmanagement verschoben. Ich habe mehrere Unternehmen in Spanien, München und Zürich mitaufgebaut und durfte dabei viel über Product-Market Fit und Skalierung lernen.  

Beim letzten Unternehmen, einem Joint Venture im Bereich E-Commerce, habe ich nebenbei bereits die ProductTanks in Bern und Zürich gegründet, um die Product Community in der Schweiz zu stärken. Während dieser Zeit bin ich zum ersten Mal Mutter geworden und habe mich dann beruflich umorientiert, um für mich einen anspruchsvollen und unternehmerischen Job in Teilzeit zu schaffen. Das hat 2018 zur Gründung der Product Academy geführt, mit der ich seither Firmen und Einzelpersonen durch Workshops und Coachings dabei begleite, ihre Produktorganisationen besser aufzustellen und die Rolle des Produktmanagers bestmöglich ausfüllen zu können. Das mache ich nicht allein, sondern mit einer Crew aus ca. 60 erfahrenden Mentoren, Trainern und Coaches, die bei Firmen wie Google, Booking.com, Migros Online und vielen weiteren spannenden Unternehmen arbeiten und ihr Wissen gerne an die nächste Generation an Produktmanagern weitergeben.

 

In Ihrer Arbeit legen Sie grossen Wert auf lernende Organisationen. Was fasziniert Sie an diesem Konzept, und welche Vorteile sehen Sie für Unternehmen, die sich stärker darauf ausrichten?

Erfolg haben langfristig die Organisationen, die am schnellsten lernen und ihre Annahmen effizient validieren, ohne Produkte oder Features am Markt vorbeizuentwickeln. Mit unserem hypothesen-basierten Ansatz schulen wir Produktmanager, aber auch ganze crossfunktionale Teams darin, bessere Entscheidungen zu treffen und zeigen auf, wie sie in ihren Firmen positives Momentum generieren können.

 

Sie arbeiten mit namhaften Unternehmen wie Google, Swisscom und SBB zusammen. Was sind die grössten Herausforderungen, denen diese Organisationen bei der Produktentwicklung begegnen, und wie unterstützen Sie sie dabei?

Grosse Organisationen stehen häufig vor der Herausforderung, Silos aufzubrechen, um eine bessere Zusammenarbeit zwischen Teams zu ermöglichen. Oft gibt es mehrere konkurrierende Zielsysteme und einen grossen Overhead in der Planung. Die Rolle der Produktmanager ist in vielen Firmen nicht ganz klar, und das sorgt dann für Reibung und Frustration. Die Product Academy unterstützt an der Schnittstelle von Produktmanagement, Change Management und Entrepreurship, um den Fokus zu schärfen und eine gemeinsame Sprache sowie Toolbox zu schaffen. Letztendlich geht es in allen Unternehmen darum, Mehrwert für die Firma zu bringen, indem man relevante Kundenprobleme löst.

 

Als Gründerin und Mutter von zwei Kindern meistern Sie sowohl berufliche als auch familiäre Verantwortung. Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen Unternehmertum und Familie, und was würden Sie anderen UnternehmerInnen in ähnlichen Situationen raten?

Für manche ist es schwer zu glauben, aber ich arbeite tatsächlich nur ca. 12 bis 16 Stunden pro Woche. Das ist eine bewusste Entscheidung, weil ich gerne viel Zeit mit meinen Kindern verbringe, solange sie mich noch nicht zu peinlich finden 😊 Gleichzeitig bin ich dann in der Zeit, die ich für die Product Academy investiere, sehr ambitioniert und unternehmerisch. Das ist für mich kein Widerspruch. Was mir hilft, ist ein klares Limit der Arbeitszeit. Als Unternehmer sagt einem niemand, wann man genug gearbeitet hat. Als Familie arbeiten wir zudem mit Family OKRs und sind sehr bewusst in unseren Entscheidungen, was uns gerade wichtig ist.

Die wichtigste Fähigkeit für mich ist, auf freundliche, aber bestimmte Weise nein zu sagen. Ich habe viele Angebote für Podcasts, Konferenzen und auch Aufträge bereits abgelehnt, weil sich das nicht mit meinem Familienalltag vereinbaren liess. Klare Entscheidungsprinzipien helfen dabei sehr. Insgesamt setze ich mit der Academy auf ein langfristiges moderates Wachstum, das von einer starken Marke und vielen Mund-zu-Mund-Empfehlungen getragen ist.

Im Alltag versuche ich immer, so viel wie möglich im Voraus für Kurse und Kunden vorzubereiten, damit ich nicht ins Strudeln gerate, wenn mal ein Kind krank wird. Für meinen persönlichen Ausgleich helfen mir viel Sport und mein Tanja-Tag, den ich alle zwei Wochen am Freitag habe. Mein Mann arbeitet 80% und wir haben beide im Wechsel freitags kinder- und arbeitsfrei. Dieser Tag hilft extrem, die Akkus aufzuladen und ich möchte ihn nicht missen.

 

Wenn Sie für einen Tag eine andere Rolle in einem Unternehmen übernehmen könnten, welche Position wäre das und warum?

Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und liebe es, neue Dinge zu lernen. Allerdings würde ich tatsächlich lieber zum Beispiel einen Tag von Athleten lernen, wie sie trainieren und sich motivieren, oder in einem Montessori-Kindergarten erleben, wie andere Lernkonzepte aussehen, als einen anderen Bürojob auszuprobieren. Ich denke, wir sollten immer wieder unsere Bubble aufbrechen und ganz neue Perspektiven einnehmen, um nicht betriebsblind zu werden.

 

Welche Fähigkeiten und Qualifikationen sind entscheidend für eine erfolgreiche Karriere im Produktmanagement, besonders in einer sich ständig wandelnden technologischen Landschaft?

Die wichtigsten Fähigkeiten sind ein starkes analytisches Denken, die Fähigkeit zur Priorisierung sowie ausgezeichnete Kommunikations- und Kollaborationsfähigkeiten. Dazu kommt eine hohe Anpassungsfähigkeit, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten – zum Beispiel die Motivation, mit neuen AI Tools zu experimentieren. Im Bereich Product Discovery helfen natürlich auch eine grosse Portion Neugier und Empathie. Welche Skills in welcher Tiefe vorhanden sein müssen, hängt immer auch von den anderen Rollen im Team ab: Gibt es zum Beispiel ein dediziertes Data-Team oder UX-Team?

 

Welche Entwicklungen oder Trends im Bereich der digitalen Produktentwicklung verfolgen Sie aktuell besonders aufmerksam?

Ein spannender Trend ist die zunehmende Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning in Produkten. Auch der Ansatz von “Product-Led Growth”, bei dem das Produkt selbst als Treiber für das Wachstum dient, finde ich sehr spannend. Insgesamt ist das Produktmanagement in letzter Zeit durch die wirtschaftliche Situation und trending topics wie «Founder-Mode» stärker unter Druck geraten und befindet sich gerade in einer neuen Entwicklungsstufe, bei der unter anderem die langfristige Wirtschaftlichkeit der Produkte – zu Recht – wieder stärker in den Vordergrund rückt.

 

Welche Ratschläge möchten Sie angehenden ProduktmanagerInnen geben, die ihre Fähigkeiten und Karrieren weiter ausbauen möchten?

Mein wichtigster Rat ist, neugierig zu bleiben und kontinuierlich zu lernen. Sucht euch Mentoren, tauscht euch mit Gleichgesinnten aus und bleibt offen für Feedback. Praxisorientierte Weiterbildungen, wie sie die Product Academy anbietet, können helfen, Theorie und Praxis zu verbinden und eure Fähigkeiten gezielt zu erweitern. Wichtig ist auch, immer die Perspektive der KundInnen einzunehmen und sich daran zu erinnern, dass Produktmanagement ein Team-Sport ist.

 

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Tanja Lau ist Gründerin der Product Academy und zählt zu den Top 30 Women in Product in Europa (2020, 2023). Mit Erfahrung aus der Leitung von Start-ups und Unternehmen wie Google und Swisscom unterstützt sie Teams dabei, ihre Potenziale im Produktmanagement voll auszuschöpfen. Zudem engagiert sie sich für Diversität und die Stärkung der Product-Community in der Schweiz.

 

Greg Tomasik, Co-Founder & CTO at SwissDevJobs.ch, GermanTechJobs.de & DevITjobs.uk. A Software Engineer with over 8 years of experience working at international companies. Involved in the recruiting industry since 2018, focusing on building transparent job boards for tech talents.